Beachtenswertes Urteil zur Gewährung von Hilfsmitteln für Kinder bis 15 Jahre

Vielfach sehen sich Eltern und Sorgeberechtigte von Kindern mit Beeinträchtigungen damit konfrontiert, dass für die Gewährung von Hilfsmitteln für Schule oder Alltag die Gesetzlichen Krankenkassen die Zuständigkeit bestreiten. Sofern sie sich zuständig sehen verlangen sie in vielen Fällen einen erheblichen Anteil an finanziellen Mitteln, der von den Eltern aufzubringen ist.
Bemerkenswert ist jedoch die bereits 2002 erfolgte Aussage des Bundessozialgerichtes zur Zuständigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung und dazu, dass bei Kindern und Jugendlichen die medizinische Rehabilitation umfassender auszulegen ist.
Sofern ein Hilfsmittel als der medizinischen Rehabilitation dienend anerkannt ist, entfällt die Pflicht zur Aufbringung eigener Mittel, weil sich ein Anspruch auf die Einstufung als privilegierte Hilfe gemäß § 92 Absatz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftees Buch (SGB XII) ergibt.

 Hier finden sie wichtige Paragraphen

Als Hilfsmittel definiert das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), das die Gesetzliche Krankenversicherung regelt, in § §§ verschiedene Sachleistungen, „die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.“
Zudem müssen „die Hilfsmittel mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind.“

Bei Kindern mit Behinderung oder von Behinderung bedrohten Kindern ist auch das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) einschlägig, das die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen regelt.
Hier finden sich in § 26 Absatz 2 die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.

Derartige Leistungen fallen unter die als privilegiert einzustufenden Hilfen gemäß § 92 Absatz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Auszüge aus dem Urteil vom 23.07.2002 (B3 KR3/02 R)

Im vorliegenden Fall ging es um ein Therapiedreirad.

Hier verwies der Senat, „dass nach seiner ständigen Rechtsprechung auch die Förderung der Selbstbestimmung des behinderten Menschen und seiner gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch Versorgung mit Hilfsmitteln in die Leistungspflicht der GKV fällt, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben („allgemein“) beseitigt oder mildert und damit ein „Grundbedürfnis des täglichen Lebens“ betrifft“.
Der Senat verwies zudem darauf, dass „in der Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen, zumindest bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, sich die Lebensbereiche nicht in der Weise trennen [lassen] wie bei Erwachsenen […] und dass [er] auch ein Grundbedürfnis in der Teilnahme an der sonstigen üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses sieht. Demzufolge ist der durch die Hilfsmittelversorgung anzustrebende Behinderungsausgleich auf eine möglichst weit gehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet. Er setzt nicht voraus, dass das begehrte Hilfsmittel nachweislich unverzichtbar ist, eine Isolation des Kindes zu verhindern. Denn der Integrationsprozess ist ein multifaktorielles Geschehen, bei dem die einzelnen Faktoren nicht isoliert betrachtet und bewertet werden können. Es reicht deshalb aus, wenn durch das begehrte Hilfsmittel die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich gefördert wird.“

Fazit und Tipp

Ein Mitglied unseres Vereins konnte sich mit Verweis auf dieses Urteil in einem strittigen Fall behelfen.
Wichtig dabei war die Feststellung, dass es sich bei einem Therapie-Rad um ein Hilfsmittel handelt, das aufgrund der körperlichen Einschränkung des Kindes der medizinischen Rehabilitation dient. Zudem war die Feststellung hilfreich, dass es sich nicht um einen Gegenstand des täglichen Bedarf handelt.

Inklusion in der Schule

Ein besseres Bildungssystem ist inklusiv ausgerichtet. Hier werden alle Kinder entsprechend ihrer individuellen persönlichen Begabungen und Möglichkeiten gefördert.

Erkenntnisse der Bildungsforschung belegen:

  • Gemeinsames Lernen mit entsprechenden pädagogischen Konzepten kommt allen Kindern zugute. Dabei kommen alle Kinder mit unterschiedlichen Lernanforderungen zu ihrem Recht – egal, ob ohne oder mit Beeinträchtigung oder ob hochbegabt.
  • Kinder entwickeln im Umgang miteinander das Bewusstsein und die Wertschätzung von Individualität und Vielfalt.
  • Wer aussortiert und trennt, hindert die Menschen daran, in verschiedenen Situationen des Alltags voneinander zu lernen und die Welt zu gestalten.

Wichtige Voraussetzungen dafür sind:

  • kleinere Klassen
  • individuelle Förderung – auch durch lernzieldifferenzierten Unterricht
  • inklusive Pädagogik in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern
  • pauschale Stellenzuweisungen für sonderpädagogische Fachkräfte an alle Schulen

Rechtliche Grundlagen beachten

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die bereits im März 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist, bietet hierfür eine rechtliche Grundlage. Uns ist wichtig, dass in Bayern die Weiterentwicklung des Schulsystems spürbar vorangetrieben wird und die notwendigen personellen, räumlichen und sachlichen Voraussetzungen für Inklusion geschaffen werden. Der Rechtsanspruch auf inklusiven Unterricht an Regelschulen darf nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen.

Auftretenden Schwierigkeiten mutig begegnen – hier unterstützen wir

Leider stellen wir immer wieder fest, dass Abstimmungsschwierigkeiten zwischen verschiedenen staatlichen Stellen dazu führen, dass dem Rechtsanspruch auf inklusiven Unterricht nicht abgebaute Barrieren (organisatorisch, personell, finanziell) entgegenstehen.
Hier gilt es: Nicht nach- oder aufgeben – dies sind nicht erfolgte Vorkehrungen zum Schutz vor Diskriminierung! Gegen derartige Verstöße gegen die UN-BRK gehen wir vor. Sprechen Sie uns an!